Interview mit Regisseur HÜSEYIN TABAK

Hüseyin Tabak: Kinder träumen sehr viel. Ich meine damit, dass sie sich als Tagträumer sehr
viele Sachen vorstellen. Nach ein paar Wochen wissen sie dann nicht mehr, ob sie sich etwas vorgestellt haben oder ob es wirklich so war. Ihre Wünsche und Vorstellungen sind sehr stark. Deshalb beginnt der Film mit der Erfüllung seines innigsten Wunsches. Dann folgt die Wirklichkeit, er muss nachts allein auf offener Straße und bei Kälte seinen Bruder suchen.
Mit diesem Kontrast wollte ich gleich zu Beginn die Situation des Jungen erzählen, sodass die Zuschauer von Anfang an bei ihm bleiben. Dies wäre mit einem rein realistischen Einstieg für einen Film, in dem die Poesie eine große Rolle spielt, schwieriger gewesen. Ich schreibe fast immer chronologisch und so hat für mich die Geschichte mit dieser Wunschvorstellung auch angefangen.

Die Situation der Einwanderer hier in Wien bestimmt zwar Handlung und
Verlauf der Geschichte, bleibt aber in gewisser Weise im Hintergrund.
Im Vordergrund stehen alltägliche Probleme, die in jeder Familie stattfinden
könnten – Konflikte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, Beziehungs-
probleme, Schulprobleme. War es Ihnen wichtig, hier in einer Normalität
zu bleiben?


Hüseyin Tabak: Ja, absolut. Ich mag Filme nicht, die nach Mitleid rufen. Ich wollte
besonders darauf hinweisen, dass die Migranten alltägliche Probleme haben und auch
viele aus der eigenen Heimat mitgebracht haben; über die wollte ich eine Geschichte
erzählen. Ich wollte weder einen Flüchtlings- noch einen Immigrationsfilm machen.
Für mich ist es ein österreichischer Liebesfilm, wie er durch die Verhältnisse in diesem
Land zustande kommen kann. Ich wollte so viel Normalität wie möglich reinbringen,
ohne mit dem Finger auf Missstände zeigen zu wollen. Ich habe auch sehr viel durch
die Recherchen und aus Erzählungen beim Casting in den Hauptschulen erfahren.
Wir haben viele Kinder kennen gelernt, die neu im Land waren und ich hab viel von
ihren alltäglichen Problemen gehört. Davon konnten wir viel aufnehmen.

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