REST IN PEACE - Ein Dokumentarfilm von Andrea Morgenthaler

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Interview mit Regisseurin ANDREA MORGENTHALER

Schildern Sie bitte, wie Sie zu dem Projekt REST IN PEACE gestoßen sind? Sie haben das ja von den Produzenten angeboten bekommen ...
Ja, ich habe es angeboten bekommen und mir dann durch den Kopf gehen lassen. Am Anfang war ich recht zwiespältig. Das Thema hat mich einerseits wahnsinnig fasziniert und irgendwie angezogen, andererseits habe ich mich gefragt, ob ich mich damit 2, 3 Jahre befassen will und ob ich das aushalte. Dann lag dieses Papier mit der ersten Idee bei mir ein paar Monate herum und ich hab es immer wieder zur Hand genommen und angeschaut. Irgendwann habe ich gesagt, das Thema ist einfach doch spannend und ich will das machen. Ursprünglich sollte es eine 2-teilige Fernsehdokumentation sein. Ich habe angefangen zu recherchieren und das erste Exposé geschrieben. Dann hat sich das weiter entwickelt und die Produzenten kamen auf die Idee, dass es eigentlich ein Kinostoff ist. Deshalb haben wir es inhaltlich nochmal sehr stark verändert, weg von den historischen Geschichten hin zu dem, was heute sichtbar ist und woran man es festmachen könnte. In die Richtung habe ich dann weitergeschrieben, und das war auch deshalb sehr spannend, weil ich ja noch nie Kino gemacht hatte, sondern Fernsehdokumentationen.

Wenn ich mir vorstelle, man bekommt so einen Stoff vorgelegt, da hat man zunächst wahrscheinlich auch persönliche Assoziationen.
Das ist schwer zu sagen. Klar, jeder hat Erfahrungen mit Tod und Verlust. Gleichzeitig interessiert es einen auf so einer abstrakten Ebene. Einfach die Frage der Endlichkeit – so radikal zu denken und zu schauen, wie gehen andere Leute und andere Kulturen damit um, was ist davon universell? Das fand ich schon sehr faszinierend.

Gab es eine Art Ideensammlung, von der Sie ausgegangen sind?
Ja, das war der Ausgangspunkt der Überlegungen. Am Anfang sind wir sehr stark von dieser ersten Ideensammlung ausgegangen. Da waren halt sehr viele Geschichten und historische Dinge drinnen. Zum Beispiel Mumien in Ägypten und wie sich das weiterentwickelt hat, bis ins vorige Jahrhundert, als Teile von Mumien verarbeitet und in Europa als Medizin verwendet wurden. Lauter solche exotischen Geschichten. Mit der Entscheidung, Kino zu machen, hat sich nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt schon sehr stark verändert.

Haben Sie gedacht, dass es schwierig wird, weil Sie für das Kino ganz anders auf die Bildebene achten müssen als beim Fernsehen?
Ja, ich muss natürlich mehr Bilder haben, und es müssen eindrücklichere Bilder sein. Bilder , die für sich sprechen und keine Erklärung brauchen. Damit war klar, ich muss mich mehr in der Gegenwart bewegen, wo ich zeigen kann, was wirklich passiert und weniger in der Vergangenheit, wo ich eventuell auch mit Gemälden und Stichen arbeiten muss und wo auch ein erklärender Text notwendig wird.

Wie ging es dann weiter?
Dann habe ich im Prinzip das Buch noch einmal neu geschrieben und auch neu recherchiert. Ich habe eine Recherchereise gemacht und habe mir das größtenteils alles selber angeschaut. Bei dieser Recherche habe ich natürlich auch versucht, die Protagonisten zu finden und deren Einverständnis zu bekommen, um das ein bisschen vorzubereiten. Dann habe ich das endgültige Buch geschrieben. Im endgültigen Buch waren dann noch drei Episoden mehr drinnen. Ich wollte auch noch auf diese Bodyfarm in Knoxville. Das ist eine Art Verwesungs-Forschungsinstitut. Das muss man sich vorstellen wie ein abgeschlossenes Freiluftgelände, wo Leichen in unterschiedlichen Bedingungen ausgelegt werden. Manche werden verdeckt, manche werden offen gelassen, manche werden in ein Auto gesetzt, oder halb unter die Erde gelegt - und dann wird untersucht, unter welchen Bedingungen der tote Körper wie und wie schnell verfällt. Das ist natürlich für Kriminologen besonders interessant, weil diese dann Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt und den Todesort ziehen können. Aber das Institut hat das erste Einverständnis ohne Begründung zurückgezogen.

Und die weiteren weggefallenen Episoden?
Der Leichnam von Lenin war ebenfalls ein eigenes Kapitel. Die Idee dazu war, die Stilisierung von Toten mit rein zu nehmen. Es ist ja bekannt, im Fall von Lenin hat die Partei gegen den Willen der Familie entschieden, ihn zu einem Helden zu stilisieren. Das haben die dann voll durchgezogen. Für mich war das aus zweierlei Gründen interessant: Einerseits die Geschichte zu erzählen wie ein Toter zu einer staatlichen Ikone wird, und andererseits wie gehen die Russen nach dem Verfall des Kommunismus mit der Lenin-Leiche um? Das kostet ja wahnsinnig viel Geld, einen Leichnam so zu erhalten. Jedes Jahr wird er wochenlang von einem Expertenteam „renoviert“. 
Das dritte Thema, was wir noch angedacht hatten, war wieder eine historische Geschichte. Ein sehr frühes Andenvolk in Chile, das hat etwa 5000 vor Christus gelebt und da gibt es die frühesten Mumifizierungen, die man gefunden hat. Die Angehörigen haben das Fleisch von den Leichen entfernt und sie dann mit Stroh und Lehm wie Puppen wieder hergestellt. Die wurden dann bemalt und in der Nähe der Behausung aufbewahrt, sodass sie die Toten praktisch bei sich hatten. Das fand ich schon sehr faszinierend, weil das so eine ganz frühe Art der Trauerbewältigung war. Es war eine gute Hintergrundrecherche, aber es wäre zu historisch und vielleicht auch zu „museal“ geworden.

Wie ist Ihr persönlicher Zugang? Sehen Sie das eher nüchtern, oder haben Sie einen spirituelleren Zugang zu diesen Dingen?
Das ist schwer. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben können. Ich gehöre sicher zu den etwas Nüchterneren. Andererseits hofft man natürlich auch, dass man wenigstens vielleicht in den Gedanken anderer ein bisschen weiterlebt. Selber inmitten von vielen Toten zu stehen und sich damit zu konfrontieren, war manchmal nicht leicht, aber es war auch ungeheuer spannend. Wenn man die Dinge in ihrer Konsequenz zu denken wagt, wie es etwa bei Herrn Benecke ziemlich klar rauskommt, dann hat das in der Tat - wie er sagt - auch ein bisschen was Befreiendes. Unser Leben ist eben beschränkt, aber ich persönlich tue mir leichter, wenn ich das akzeptiere und mich nicht vertröste auf irgendwas, von dem ich nicht weiß, ob es kommt.

Haben Sie auch Fragen der Evolution und göttlichen Schöpfung interessiert, die ja zum Beispiel Herr Benecke klar für sich beantwortet hat?
Unbedingt. Ich fand seinen evolutionsbiologischen Blickwinkel sehr interessant: Zu sagen, wir schauen jetzt mal nicht auf das Individuum oder eine Generation, sondern wir schauen einmal von ganz oben drauf und fragen, wie funktioniert eigentlich dieses System von Leben und Tod, oder Schöpfung? Was sind die Bausteine des Lebens? Da wird man als Mensch plötzlich ganz ganz klein. Das ist wahrscheinlich auch wichtig und rückt Vieles wieder zurecht, wenn man einfach sagt, der Tod ist ein Baustein des Lebens, so ist es einfach. Das kann ich gut oder nicht gut finden, aber es ist so.

Der Tod als Baustein des Lebens, das könnte man auch mit der letzten Episode in Oaxaca, Mexico, assoziieren. Wie kam diese Episode zustande?
Ich kannte Mexiko ein bisschen und wusste, dass dieser Tag der Toten in Mexiko der größte Feiertag ist, darüber hatte ich gelesen. Als ich in Mexiko war, habe ich auch diese vielen Dinge, die man dort aus Skeletten künstlerisch gestaltet, gesehen und gemerkt, dass diese Menschen einfach spielerisch und sehr fantasievoll mit dem Tod umgehen. Im Zusammenhang mit den Recherchen ist mir meine Faszination darüber wieder eingefallen, und ich habe gesagt, wir müssen das mit rein nehmen. Auf Oaxaca sind wir dann gekommen, weil es dort noch einigermaßen authentisch ist. Natürlich ist auch Mexiko teilweise etwas touristisch geworden. In Oaxaca gab es aber 90 Prozent Einheimische und nur ganz wenige Touristen.

Wie würden Sie diese Stimmung beschreiben, die da an diesem Tag im ganzen Land herrscht?
Das ist unheimlich fröhlich, aber so, wie das bei den Mexikanern immer ist, ist die Fröhlichkeit gemischt mit ein bisschen Melancholie und Traurigkeit. Ein mexikanischer Schriftsteller hat einmal gesagt: „Die Mexikaner umarmen den Tod.“ Die gehen einfach auf ihn zu und integrieren ihn. So ist auch die Stimmung. Es wird viel getrunken, viel gegessen, Musik gemacht, getanzt - so, wie man das vielleicht bei uns von Volksfesten kennt. Das sieht man ja auch im Film: Sie setzen sich auf die Gräber, mit Alkohol, mit Essen, die Kinder turnen herum - das ist eine ganz andere Stimmung als bei uns auf dem Friedhof, eigentlich sehr schön. Sie feiern mit den Toten, mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Das heißt, obwohl die christlichen Glaubenstraditionen nicht so weit voneinander entfernt liegen, zeigt sich daran, dass die Mexikaner es besser verstehen, im Moment zu leben, als die Europäer?
Ja, das ist sicher so. Kulturell herrscht dort offensichtlich eine Vermischung von christlichen mit indianischen Vorstellungen vor. Die Indianer haben wohl früher immer zu Erntedank die Ernte mit den Toten geteilt. Dann kamen die Missionare und haben Allerseelen gefeiert - und das war irgendwie nicht zusammen zu bringen. Als die Indianer von ihrer Erntedanktradition nicht abließen, haben die Missionare es einfach sehr klug zusammengelegt. Daraus ist diese Art von Totenkult entstanden.  

Nepal war ja ein Ersatzort für die Feuerbestattungsepisode. War das für Sie eine befriedigende Alternative?
Ich glaube, im Endeffekt war es sogar die bessere Wahl. Ich bin im Nachhinein sehr froh, dass es in Varanasi nicht geklappt hat, weil wir uns in Nepal viel freier mit der Kamera bewegen konnten. Da gab es überhaupt keine Einschränkung, die Menschen waren ganz offen. Natürlich haben wir immer gefragt, ob es ihnen Recht ist, wenn wir filmen, es kam aber eigentlich nie ein Nein. Das war für mich auch sehr erstaunlich. Das wäre in Indien, nach allem, was ich gehört habe, ganz anders gewesen.

Asche zu Asche, Staub zu Staub: War es für Sie immer klar, dass die Idee der Kompostierung von Leichen in den Film gehört?
Ja, ganz von Anfang an. Ich fand, dass dieser Umweltaspekt schon ein wichtiger ist und dass man sich diese Frage natürlich schon stellen muss, ob die Art, wie wir bestatten, eigentlich gut für die Erde ist. Was bedeutet das für die Umwelt, wenn immer mehr Menschen in immer kürzeren Zeiträumen in der Erde bestattet werden. Mir hat diese schwedische Biologin erzählt, dass sich sehr viele asiatische Völker dafür interessieren, weil sie neben dem Umweltproblem auch ein Platzproblem in Ihren Städten haben.

Dieses Kompostierungs-Patent entbehrt aber auch nicht einer gewissen Skurrilität – hier kommt auch die einzige Infografik im Film vor.
Ja, da haben wir lange überlegt. Da man nichts zeigen kann und wir die Testmaschinen nicht filmen durften, haben wir es auf alle möglichen Varianten probiert. Am Ende habe ich gemeint, man muss das irgendwie anschaulich machen, sonst bleibt es so abstrakt. Deswegen haben wir uns dann für diese Variante entschieden, damit man wenigstens einigermaßen eine Vorstellung hat, wie das aussieht. Und der Gedankengang ist ja grundsätzlich nachvollziehbar: Jedes einzelne Individuum nimmt so viel aus der Erde, warum können wir der Erde nicht auch wieder etwas zurückgeben, wie es vielleicht in der Natur gedacht war?

Mit welcher Episode sind Sie selbst am glücklichsten?
Das ist schwer. Für mich am überraschendsten, als ich dort war und es erlebt habe, war die Nepal-Episode, weil ich nicht gedacht hätte, dass es ein so friedlicher Ort ist, in dem man sich tatsächlich auch wohl fühlen kann. Ich hatte eigentlich eher befürchtet, dass es scheußlich ist, da zuzuschauen, wie ein Körper verbrennt, aber das war überhaupt nicht so. Das war eigentlich fast friedlich, kann man sagen. Es riecht auch nicht, was ich sehr erstaunlich fand - im Vergleich zu anderen Drehorten, wo der Geruch unangenehm war, war das sehr gut auszuhalten.

Hätten Sie denn, wenn die Möglichkeit bestünde, Geruchskino zu machen, darauf zugegriffen?
Ich glaube, dann hätten wir keinen Zuschauer.

Stichwort Zuschauer: Sie greifen ein Thema an, bei dem die allermeisten Menschen gern wegschauen. Inwieweit erhoffen Sie sich trotzdem damit Publikum?
Dass es kein Kassenschlager im Kino wird, das wussten die Produzenten und das weiß ich auch, aber vielleicht geht es gar nicht darum. Alles andere muss man sehen. Meine persönliche Erfahrung ist, wenn ich gefragt werde, was ich gerade mache und ich es erzähle, dass immer diese Doppelreaktion kommt: Einerseits „Oh Gott, wie grauslich!“ und andererseits „Erzähl doch mal!“.
Der Tod ist einfach ein zentrales Thema der Menschen. Es hängt von jedem Einzelnen ab, ob er sich damit auseinandersetzen will oder lieber verdrängt. Egal wie man damit umgeht, gleichgültig ist das Thema niemandem. Es wird sicher viele Menschen geben, die sagen, sie wollen so einen Film nicht sehen, das ist auch in Ordnung für mich. Ich glaube, dass jüngere Leute eine geringere Hemmschwelle haben - auch nach den Gesprächen, die ich geführt habe. Möglicherweise auch, weil der Tod Jüngeren einfach noch sehr weit weg erscheint.

Gab es für Sie irgendwelche Punkte der Produktion, wo es schwieriger geworden ist?
Wir hatten wirklich sehr viel Glück, muss ich sagen. Bis auf Kleinigkeiten, die man immer hat, ging es praktisch reibungslos. Natürlich war ein sehr langer Vorlauf von fast 3 Jahren nötig, bis man alle Genehmigungen hatte und bis klar war, was wir wo drehen dürfen. Und es war schon ein gewisser Aufwand vorher dabei, um das Vertrauen der Leute zu bekommen. Die Dreharbeiten selber liefen aber im Großen und Ganzen problemlos.

Hat die Arbeit an diesem Projekt Ihre persönliche Einstellung zum Tod verändert?
Ja, ich glaube schon ein bisschen. Ich habe mich zum Beispiel entschlossen, einen Organ- und Gewebespende-Ausweis auszufüllen. Vorher hatte ich diesbezüglich Hemmungen, dann aber habe ich gesehen, dass es Sinn ergibt und wichtig ist. Ganz generell denke ich, dass durch die Arbeit der Tod mehr Normalität bekommen hat, was ja auch kein Fehler ist. Es schreckt einen nicht mehr so.

Ein Wort zum Schluss?
Ich möchte noch gern sagen, dass es eine ganz tolle Zusammenarbeit mit dem gesamten Team war, eine nahezu ideale Zusammenarbeit. Und die Produzenten haben mir unheimlich viel Freiraum gelassen. Es war immer klar, dass ich machen kann, was ich für richtig befinde. Das findet man ja auch selten.

Danke für das Gespräch!

(Das Interview führte Roman Scheiber)

 

 

Interview mit Produzent KURT STOCKER

„Rest in Peace“ besteht aus acht Episoden, die sich um das Sterben, um die Verwesung, um den menschlichen Körper im Zustand des Nicht-Lebendig-Seins drehen. Welche Genese hat das Projekt?
Für mich gab es drei Einstiege in den Film. Zunächst hat Claudia Krausz ein erstes Treatment für den Film geschrieben. Eigentlich für einen Film, der ein ganz anderer hätte werden sollen, aber da ist dieses Todesthema das erste Mal in schriftlicher Form dagelegen. Ich habe mich dann einfach an zwei Dinge besonders erinnert. Das hat mich dazu gebracht, diesen Film zu wollen und alle zusammenzubringen, die ihn dann gemacht haben. Claudia Krausz ist die Anregerin geblieben.

War es ursprünglich eine Doku- oder Fiction-Idee?
Eine Doku-Idee. Die Regisseurin Andrea Morgenthaler hat das dann, wie ich finde, sehr toll gemacht. Wir haben sehr viel diskutiert und das Projekt gedreht und gewendet. Mein zweiter Einstieg: Ich bin in einem Ort aufgewachsen, wo man als Kind noch Tote gesehen hat. Bei uns zu Hause in der Obersteiermark, in Ramsau am Dachstein, gibt’s die Hausaufbahrung. Wenn einer stirbt, dann wird der in einem Zimmer im Haus aufgebahrt und dann kommen die Verwandten und Freunde und Nachbarn. Das ist ein Ritual, das bis zum Tag vor dem Begräbnis stattfindet. Wenn der Sarg dann unten ist und man zur so genannten Todessuppe geht, dann empfindet man - weil diese Rituale so gut funktionieren - Erleichterung, weil man das durchgemacht und quasi eine ritualisierte Verabschiedung vollzogen hat. Es ist eine Art, den Tod nicht so vom Leben wegzusperren, wie wir das in urbanen Zusammenhängen gewohnt sind. Mein Sohn, der in der Stadt aufgewachsen ist, hat in seinen 20 Lebensjahren noch nie eine Leiche gesehen. Ich finde es ein Problem, dass wir den Tod aus dem Leben so aussperren, denn er gehört eigentlich dazu.

Ich nehme einmal an, die Erinnerung aus Ihrer Kindheit ist nicht vergleichbar mit der ersten Episode aus dem Film, wo der schwarze Priester die Leichen für seine gläubige Community schön herrichtet und aufbahren lässt?
Ramsau am Dachstein ist eine protestantische Gemeinde. Dort ist, was die kulturelle Ausgestaltung des Lebens betrifft, Kargheit angesagt. Ökologisch ist es wahrscheinlich bei uns gescheiter - die Leichen verwesen vor allem deswegen, weil sie nicht behandelt werden. Meistens ist die Aufbahrung möglich, und man sieht dann eben diese zwei Tage, in denen die Leiche aufgebahrt ist, wie sie zerfällt - und man riecht sie auch. Ich habe daher schon als Kind gewusst, dass Leichen zu stinken beginnen. Ich habe aufgrund dieser Erlebnisse relativ früh ein Bewusstsein entwickelt, dass ich sterblich bin. Ich habe einige Ahnen gesehen, die wir zu Grabe getragen haben - Urgroßmutter und Onkel zum Beispiel -, aber auch einen Freund, der unter ein Auto gekommen ist, als er acht Jahre alt war.

Und der von Ihnen erwähnte dritte Zugang zu dem Projekt?
Vor sechs oder sieben Jahren war ich in dieser Kapuzinergruft in Palermo, noch dazu an einem verregneten kalten Tag. Da geht man zu diesen Cappuccini hinein und dort sitzt ein mürrischer Mönch, nichts ist renoviert und es ist absolut nicht einladend. Dann geht man runter in die Gruft und steht auf einmal zwischen 4.000 Trockenleichen. Das ist eine Konfrontation mit dem Tod und mit unserer Existenz, die ich so zuvor noch nicht erlebt hatte.
Ich habe einen Tag gebraucht, bis dieses flaue Gefühl aus der Magengegend wieder gewichen ist.
Wir haben das dann als Intro gewählt, weil es in Wirklichkeit eine massive Ästhetisierung des Todes ist. Das war für lange Zeit eine approbierte Bestattungsart in Palermo, vor allen Dingen geschuldet diesem Tuffstein, auf dem dieses Kloster gebaut ist. Da trocknen die Leichen einfach natürlich aus. Über viele Jahre sind da die Familien gekommen und haben ihre Toten immer wieder renoviert, geschminkt, neu angezogen und so weiter. Seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist das offiziell verboten. Es gibt jetzt nur noch ganz wenige Leichen, die irgendwie behandelt sind. Das ist gespenstisch.
Das Erlebnis hat mich zur Überzeugung gebracht, dass man den Tod als eine Gewissheit visualisieren muss. Das war die Idee des Films. Und es passieren ja viele Dinge zwischen dem Zeitpunkt des Sterbens und der Endlagerung. Auf die wollten wir eigentlich aufmerksam machen.

Das klingt ähnlich wie der Film auch strukturiert ist. Er beginnt mit der „schönen Leiche“, er endet mit der ständigen Gewissheit des Todes in jedem Augenblick - und dazwischen spielt sich mehr oder weniger Ungeheuerliches ab.
Dabei haben wir viele Dinge rund um unser Thema ausgespart, dass Leichen auch eine Art Ware sind. Zum Beispiel: Am Ende der ersten Woche des zweiten Golfkrieges wurde an der irakisch-jordanischen Grenze ein Kühllastwagen mit Leichenteilen abgefangen, wunderbar sortiert und gekühlt, mit Destination Australien und Japan. Das ist ein illegaler Handel mit Leichenteilen, der bei solchen Anlässen wie kriegerischen Auseinandersetzungen auch stattfindet.
Auch Organspenden haben wir ausgespart, und uns statt dessen auf Knochen- und Sehnenspenden, die tatsächlich aus dem toten Körper kommen, konzentriert, weil das eine legale Geschichte ist, bei der man noch zeigen kann, wie das geht.

Die Episode, in der die Kompostierung von Leichen postuliert wird, ist auf den ersten Eindruck ziemlich skurril ...
Ja, aber wenn es um Staub zu Staub, Asche zu Asche geht, ist das das Klassische. Mir gefällt die Kompostierungs-Episode, weil es tatsächlich ein ökologisches Problem ist: Wir graben die Toten viel zu tief ein. Dort ist kein Humus, dort dauert alles viel länger. Das nächste ist, dass unsere Körper an sich schon wegen aller möglichen Chemikalien langsam verwesen - und noch langsamer mit Behandlungsmethoden, wie sie zum Beispiel die Amerikaner haben. Malcolm X etwa wurde nach 19 Jahren ausgegraben und war wie beim Eingraben - konserviert.

Dann gibt’s natürlich den Dr. Benecke mit seiner sehr sachbezogenen nüchternen Sicht auf die Dinge.
Dr. Benecke ist ein Evolutionspopulist. Einer, der sehr markige Sprüche klopft, aber schlussendlich den Kreislauf des Lebens im Sinne der Evolution darstellt und sagt, wir müssen das Sterben als eine wesentliche Konstante des Lebens annehmen. Das drängt sich als alltagsphilosophische Frage immer wieder auf. Ich bin zum Beispiel nicht jemand, der die Gnade hat, irgendeiner Religion anzugehören oder zu glauben, und muss mich daher damit abfinden, dass das Leben vorbei ist, wenn es vorbei ist. Im Angesicht des Todes ist das weniger tröstlich als wenn man sicher ist, da steht dann der Petrus beim Himmelstor, und so weiter. Natürlich stellt man sich all diese Fragen, wie „Hatte Darwin Recht?“ oder „Gibt’s Intelligent Design und Kreationismus?“ – ich glaube es nicht, es kommt mir absurd vor. Wobei wir ja überhaupt keinen Begriff davon haben, in welchem Ausmaß das im angloamerikanischen Raum eine herrschende Diskussion ist, die von großen, vor allem religiösen Gruppen vertreten wird. Die Aufklärung hat bei uns anscheinend wirklich stärker durchgeschlagen.

Gleich in der ersten Episode wird ein Afro-Amerikaner vorgestellt, der sich von klein auf mit dem Aufbahren und dem Bestatten beschäftigt. Kommt man da nicht unwillkürlich auf die Idee: Moment, da gibt es doch eine Geschichte schwarzer Familien in den Staaten. Die hatten teilweise nicht viel Freude am Leben und waren so zu sagen gezwungen, sich aufs Jenseits zu freuen, denn dann hatte zumindest ihre Leibeigenschaft ein Ende. Soll das so mitschwingen auch als Subtext, oder ist das eher Zufall?
Das ist glaube ich eher Zufall. Wir haben gewusst, dass die Schwarzen spezifische Bestattungsriten haben und dass das alles christlich überfrachtet ist. Wir haben das Glück gehabt, eine so unglaublich martialische Figur zu finden.

Wie ist man auf den Maler Köck verfallen, der sich ja sein Lebtag schon auf eine sehr eigenwillige Art mit dem Tod beschäftigt?
Das Problem war, das Wiener Todesklischee, die Todessehnsucht, Morbidität und Melancholie irgendwie auszusparen. Dann ist uns Herr Köck schließlich über den Weg gelaufen und wir hatten das Gefühl, dass es eine ziemlich radikale Annäherungsweise ist. Er ist eben jemand, der sich mit einiger Konsequenz auf das Jenseitige konzentriert Die Regisseurin hat im Wesentlichen die Figur interessiert.

War von Anfang an geplant, eine Episode in Nepal zu drehen?
Wir wollten ursprünglich nach Varanasi in Indien. Das ist die Hauptstadt für Leichenverbrennungen und Ascheverstreuungen im Ganges - ein spirituelles Zentrum der besonderen Art. Nach „Slumdog Millionaire“ haben die Inder aber eine große Sensibilität entwickelt, weil dieser Film Indien anscheinend in einer Art darstellt, wie die Inder das nicht wollen. Wir haben in der Zeit, in der wir sie gebraucht hätten, es schlicht nicht geschafft, eine Drehgenehmigung für Varanasi zu bekommen, deswegen sind wir nach Nepal ausgewichen. Ich kannte Pashupatinath - das ist ein wunderschöner, friedvoller Ort in Kathmandu. Ich war dort selber vor vielen vielen Jahrzehnten.

Eine Episode sticht besonders heraus: Das Einfrieren in der Hoffnung auf eine unglaublich fortgeschrittene Medizin in hundert Jahren. War die Entscheidung schwierig, das auch rein zu nehmen? Natürlich steckt da auch die Zerdehnung des Moments zwischen Sterben und tatsächlicher Verwesung drin, aber es ist doch das Gegenstück zum eigentlichen Thema, dieses Nicht-Akzeptieren des Todes.
Für mich ist es das Ultimum der Zurückweisung des Todes in einem wirklich verrückten Zusammenhang. Jeder ernsthafte Wissenschaftler bekommt einen Lachkrampf, wenn er das sieht. Das ist ein Kabarett! Da gibt es so und so viele Bodies, Heads und Pets - die müssen auch mit, die Haustiere. Die sind finanziell abgesichert mit Lebensversicherungen. Das sind quasi so Kleinstiftungen, die den Strom für die Kühlaggregate zahlen. Wir haben den Menschen, der das leitet, nach Hause begleitet, in die künstliche Wüste von Arizona. Dort lebt der in einem amerikanischen Familien-Idyll – wir hätten das ja gar nicht zu hoffen gewagt, dass das alles so Klischee mäßig ist. Aus diesem kleinbürgerlichen amerikanischen Traum wächst dann diese boulevardeske, wissenschaftliche Utopie heraus, die daraus resultiert, dass viele Menschen den Tod nicht anerkennen können und auf hilflose Art versuchen, dagegen zu steuern. Das Problem ist ja, es gibt ein Organ, von dem wir im Vergleich zu anderen einfach nichts wissen - das ist das Gehirn, eines der komplexesten Gebilde im Universum. Das schau ich mir an, wie die in 500 Jahren tiefgekühlte Gehirnzellen wieder so aufwecken, dass da dieselbe Person entsteht, die eingefroren worden ist.

Der Film zeigt tote Körper in einer Weise, wie man sie heute in aller Regel in unseren Breiten nicht zu Gesicht bekommt - es sei denn für kurze Momente im Spielfilm. Was hält man dem entgegen, der fragt, ob er unbedingt sehen muss, wie der verwesenden Leiche die Würmer aus dem Analbereich kriechen?
Ich als alter Aufklärer sage dann, es passiert täglich, stündlich, minütlich. Es ist den Menschen zuzumuten. Angesichts des Materials, das wir gedreht haben, haben wir uns ohnehin sehr zurück gehalten. Da sind wir wieder genau beim Thema: Wir sperren und wir halten das weg, obwohl es passiert. Wir tabuisieren viele Dinge. Wir tabuisieren nicht nur das Sterben, sondern auch schon das Altern und das, was im Alterungsprozess mit den Menschen passiert. Wir tabuisieren, dass zum Beispiel die medizinische Versorgung es jetzt schafft, den Körper um im Schnitt 20-40 Jahre länger am Leben zu erhalten. Wir tabuisieren, dass aber ein guter Teil der Menschen sich irgendwann schon vorher geistig verabschiedet. Bei jedem von uns verändert sich im Alterungs- und Sterbeprozess der Geist und es kommen Dinge heraus, die sozusagen mit den zivilisatorischen Standards nicht mehr ganz kompatibel sind. So wie wir auch Geburt ästhetisieren. Dass da Urin und Kot und Schmerz und Blut vorkommen, das verschweigen wir uns. Wir sind überzüchtete Tiere – da hat der Dr. Benecke Recht.

Und wie hat es den nach Bukarest verschlagen?
Der hat dort seine Seminare gehalten, er ist ja Professor. Er ist eine Koryphäe in seinem Gebiet und bildet überall Menschen aus. Der ist sozusagen eine ambulante Lehreinheit: Kommen Sie nicht zur Schule, die Schule kommt zu Ihnen!
Der Herr Benecke ist ein wirkliches Sonderphänomen, weil er einerseits diese sich selbst darstellende und ästhetisierende Gothic-Figur ist mit seinen drei Mädels, die da durch die Welt reisen wie so ein eigenartiger Aufklärungspulk, und auf der anderen Seite eine wissenschaftliche Seriosität hat, an der man nicht vorbei kann. Ich habe ihn auf der Frankfurter Buchmesse erlebt, wo er sein Buch vorgestellt hat. Der ist ein Ereignis, der ist ein Entertainer, was natürlich für den Film ein Glück ist.

Gab es produktionsspezifische Probleme oder Besonderheiten?
Es war eine seriöse Produktion mit einigen üblichen Problemen, die ein Dokumentarfilm mit sich bringt. Wir haben eben Indien in Nepal verwandelt, weil wir es dort nicht geschafft haben. Es gab noch drei, vier andere Dinge, von denen wir ursprünglich gedacht haben, dass wir sie in den Film reinbringen könnten, die aber dann aus dem thematischen Zusammenhang rausgefallen sind. Wir sind produktionstechnisch im grünen Bereich, es ist uns gut gegangen. Der Film kommt jetzt auch auf eine sehr pragmatische Weise ins Kino, die Sender haben das alles gesehen und freuen sich darauf, es auszustrahlen, es gibt ein Interesse am Markt. Der Film wird keine Wände einreißen, aber er ist ein seriöser Beitrag zu einem Thema, das uns betrifft.

Eine letzte Bemerkung?
Was ich noch sagen möchte ist, dass der Enzo Brandner wirklich tolle Bilder geschaffen hat, wie ich finde. Das wird man auf der Leinwand um so stärker sehen. Der hat eine Art von filmischer Eindringlichkeit geschaffen, die mir schon sehr gut gefällt. Das ging auch nicht alles zu Fuß. Die haben sich sehr viel überlegt und sehr präzise gearbeitet. Es war ein kleines, aber gut zusammen arbeitendes Team. Ja, und nun bin ich sehr neugierig, wie die Menschen auf den Film reagieren werden.


Vielen Dank für das interessante Gespräch!

(Das Interview führte Roman Scheiber)


 

 

 

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