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Biographie | Interview

PETER MORGAN (Drehbuch)

Peter, was war für Sie der Auslöser, das Drehbuch zu 360 zu schreiben?
Meine Frau ist Österreicherin, und vor ein paar Jahren bin ich mit ihr und den Kindern nach Wien gezogen. Ich verbringe auch viel Zeit anderswo, aber ich wollte mich ganz bewusst von meiner Umgebung dort beeinflussen lassen. Einfach bloß dort im Exil und ansonsten weiterhin nur in der angelsächsischen Kultur verankert sein, obwohl ich mich doch mitten in Europa befinde – das interessierte mich nicht. Ich war neugierig, wohin es mich führt, wenn ich meine Augen und Ohren wirklich für das öffne, was um mich herum passiert. Dabei kam dann dieses Drehbuch heraus. Auch mein nächster Film, die Rennfahrergeschichte „Rush“ über Niki Lauda, verdankt sich letztlich meinem Leben in Wien.

Gleichzeitig aber ist 360 ja eine globale Angelegenheit. Warum war Ihnen das so wichtig?
Das hat natürlich auch viel mit meinen Lebensumständen zu tun. Aus beruflichen Gründen findet ein Großteil meines Lebens ja nicht nur in Wien, sondern auch in London, New York und Los Angeles statt. Dadurch verbringe ich natürlich sehr viel Zeit an den unterschiedlichsten Flughäfen und höre überall ständig andere Sprachen. Das ist für mich sehr charakteristisch für unsere Zeit, und einen Film mit all diesen unterschiedlichen Sprachen zu drehen, erscheint mir sehr modern. Gleichzeitig ist er aber auch eine Metapher dafür, was uns heutzutage alle angeht, nämlich individuelle Verantwortung innerhalb eines gemeinschaftlichen Bewusstseins. Alles, was man tut, hat Auswirkungen auf andere. Als Aufhänger diente mir dabei die Liebe, denn das ist ein Thema, zu dem wir alle einen Bezug haben.

Vielleicht können Sie den Aspekt der individuellen Verantwortung noch ein wenig ausführen?
Für mich ist das der springende Punkt des Films: Jeder von uns hat immer die Wahl, wie er sich in einer bestimmten Situation verhält, und niemand ist frei von Verantwortung. Gute Absichten sind eine Sache, aber es ist etwas anderes, wenn wir uns plötzlich in Situationen befinden, in denen wir wirklich Entscheidungen treffen müssen. Der Titel 360 deutet an, dass wir alle miteinander verbunden sind, sodass jede unserer Taten einen Dominoeffekt nach sich zieht. Selbst wenn wir diese Kettenreaktion manchmal gar nicht mitbekommen. Alle Figuren im Film ringen mit sehr menschlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten, die – wie wir alle wissen – katastrophale Folgen haben können. Die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist für sie deswegen eine echte Herausforderung.

Ist das ein Aspekt, den Sie auch in Schnitzlers „Reigen“ entdeckt haben?
Nein, was mich an seinem Theaterstück gereizt hat, war eher dessen Architektur. Dass letztlich die Struktur der Geschichte ein eigener Protagonist ist, erschien mir sehr spannend. Genauso wie die Tatsache, dass nicht so sehr eine einzelne Hauptfigur im Zentrum steht, sondern eher das Zusammenspiel von vielen Charakteren wichtig ist. So ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht zwischen den Figuren ist in den meisten Drehbüchern nicht üblich.

Wie war die Zusammenarbeit mit Fernando Meirelles?
Ganz wunderbar! Er war in seiner Inszenierung sehr mutig und hat eine interessante Entscheidung nach der nächsten getroffen. Und was er aus den Schauspielern herausgeholt hat, ist fantastisch. Nicht nur aus den Stars, sondern auch aus den vielen unbekannten Newcomern, die er mit großer Begeisterung für den Film entdeckt hat. Er ist als Regisseur sehr offen und schließt jeden mit ein. Für einen Drehbuchautor sind solche Filmemacher die tollsten. Er respektiert den Text, bringt einen aber gleichzeitig auch dazu, selbst offen für Veränderungen zu sein. Die Zusammenarbeit war also wirklich himmlisch. Je nachdem, wie ein solcher Arbeitsprozess verläuft, kann ein Film meiner Erfahrung nach entweder lebensverlängernde oder leider auch lebensverkürzende Wirkung haben. Für 360, diesen in jeder Hinsicht zarten und hoffnungsvollen Film, gilt erfreulicherweise Ersteres.


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