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Biographie | Interview

FERNANDO MEIRELLES (Regie)

Fernando, wie landete das Projekt 360 auf Ihrem Tisch?
Auf letztlich recht gewöhnlichem Wege: Mir wurde das Drehbuch geschickt. Entwickelt wurde es von Peter Morgan, dessen erste Inspiration Arthur Schnitzlers berühmter und inzwischen über 100 Jahre alter „Reigen“ war, den ja schon Max Ophüls unter dem Titel „La Ronde“ verfilmt hatte. Peter griff für sein Skript auf die raffinierte Kreisstruktur des Stücks zurück. Wobei das allerdings schon die einzige Gemeinsamkeit ist, sieht man einmal davon ab, dass sowohl der „Reigen“ als auch unser Film mit einer Prostituierten in Wien beginnen. Peter ging es mit seiner Geschichte vor allem darum zu erzählen, dass alle unsere Leben miteinander verknüpft sind und unsere Handlungen und Entscheidungen selbst am anderen Ende der Welt noch Auswirkungen auf jemand anderen haben können. Er schickte das Drehbuch an David Linde – und der rief mich daraufhin an.

Wie verliefen die Dreharbeiten?
Das waren die besten Dreharbeiten, die ich je erlebt habe. Sie dauerten neun Wochen, doch es lief wirklich alles glatt, und am Ende waren wir sogar früher fertig als geplant. Wir begannen im März 2011 und drehten die ersten Tage in Minneapolis, das für Denver einstehen musste. Allerdings waren wir vor Drehbeginn von einem Schneesturm überrascht worden, sodass wir nicht direkt nach Minneapolis fliegen konnten. Wir mussten also in die nächstgelegene Stadt fliegen und dann eine sechsstündige Autofahrt hinter uns bringen, um schließlich Aufnahmen von dem verschneiten Flughafen in den Kasten zu bekommen. Aber ansonsten ging alles gut. Wir drehten fünf Wochen in London, waren anschließend eine Woche in Paris und auch noch ein paar Tage im slowakischen Bratislava.

Vor Ihrer Kamera konnten Sie ein hochkarätiges Ensemble versammeln. War es schwierig, alle unter einen Hut zu bekommen?
Am schwierigsten war es mit Vladimir Vdovichenkov, der den Sergei spielt. Er hat schon in 39 Filmen mitgespielt und ist in Russland ein Superstar. Er kann nicht über die Straße laufen, ohne dass sich eine Menschentraube um ihn bildet. Ich habe sehr darum gekämpft, ihn für die Rolle zu bekommen. Man wollte, dass ich meinen gesamten Drehplan ändere, aber ich bin stur geblieben. Jamel Debbouze zu verpflichten, war ebenfalls nicht ganz einfach, denn der steckte eigentlich mitten in einem Stück. Aber nachdem erst einmal feststand, dass wir von März bis Juni drehen würden, konnten wir es doch einrichten, so nach Paris zu kommen, dass er ein bisschen Zeit für uns hatte. Er ist in Frankreich wahnsinnig beliebt und schwer gefragt.

Die Stimmungen der einzelnen Geschichten des Films sind sehr verschieden. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Das Schöne an 360 war für mich, dass ich jede Woche das Gefühl hatte, einen anderen Film zu drehen, mit neuen Schauspielern und ganz anderer Atmosphäre. Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich habe mich wirklich intensiv mit diesen Geschichten auseinandergesetzt und habe mich dabei auch auf Terrain begeben, das ich als Filmemacher noch nicht betreten hatte. Jede Geschichte ist unterschiedlich: Die in Paris ist romantisch und traurig, in Wien dagegen wird ein bisschen Action geboten, und zwischen Jude und Rachel entwickelt sich ein Familiendrama. Aber wir wussten von Anfang an, dass 360 im Grunde ein ganz einfacher Film werden sollte, bloß nicht prätentiös und aufgeblasen. Jeder Zuschauer sollte sich persönlich mit dem einen oder anderen Aspekt identifizieren können. Und sei es auch nur mit dem Blick, den Jude Rachel bei der Schulaufführung ihrer kleinen Tochter zuwirft.

Das hört sich aber vermutlich leichter an, als es war, oder?
In der Tat, es war schon eine wirklich Herausforderung, all diese unterschiedlichen Geschichten zu einem einheitlichen Film zusammenzuführen. Zumal ich an jeder einzelnen Episode hing und allen gleichermaßen gerecht werden wollte. Es war enorm wichtig, dass sich 360 nicht anfühlt wie eine Reihe von Kurzfilmen, sondern wie ein Werk aus einem Guss. Aber ich denke, das ist uns letztlich sehr gut gelungen.

Ein zentrales Thema des Films ist die Liebe. Wie würden Sie die im 21. Jahrhundert beschreiben?
Meiner Meinung nach sind die Liebe und all die Emotionen und Konflikte, die mit ihr einhergehen, heute keinen Deut anders als früher. Es gibt die Liebe, seit es den Menschen gibt, und an ihrem Grundkonzept hat sich nichts geändert. Nur die Umstände sind nicht mehr die gleichen, die Art und Weise, wie wir heutzutage miteinander umgehen, kommunizieren und verbunden sind. Die Menschheit mag ständig neue technische Erfindungen machen. Aber wenn es um Gefühle geht, entwickeln wir uns nicht wirklich weiter.


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