Thomas Glavinic, Thomas Maurer und David Schalko im Interview

Das Interview fand frühsommers im Hinterzimmer des Cafe Defizit in Hernals (Schadinagasse 1, 1170 Wien) statt, ein echtes Taxler-Beisl, das in WIE MAN LEBEN SOLL denn auch als solches besetzt ist. Um den Interview-Duktus zu beschreiben, sei an Donald Ducks Neffen Tick, Trick und Track verwiesen: Die Herren Glavinic, Maurer und Schalko können sich Sätze teilen. Es wurde versucht, diese Eigenheit bei der Darstellung beizubehalten. Und es wurde viel – eigentlich ununterbrochen – gelacht. Beziehungsweise geblödelt. Dies wird nicht extra vermerkt.

Wie kam es bei WIE MAN LEBEN SOLL zur Zusammenarbeit? Seid ihr einfach abends lustig zusammengesessen oder ist man an euch herangetreten?

David Schalko: Also der hat angefangen (zeigt auf Glavinic), weil der den Roman geschrieben hat.

Thomas Maurer: Genau. Schuld ist er.

Schalko: Wir wollten auf jeden Fall etwas gemeinsam schreiben, dann haben wir ewig lang überlegt und konnten uns aber nicht so richtig einigen …

Maurer: ...haben Projekte angerissen und wieder verworfen...

Schalko: …so wie's halt ist. Dann haben wir uns gedacht, vielleicht ist's gescheiter, wenn wir was nehmen, was es schon gibt. Wir haben aber nicht damit gerechnet, dass es dann noch schwieriger wird.

Maurer: Wir haben uns sicherheitshalber gleich für einen Roman entschieden, der sich bei oberflächlicher Lektüre nicht zur Verfilmung eignet. Weil es sich um einen passiven Helden handelt, der praktisch nichts von selber macht und dem man eigentlich nur dabei zuschaut, wie er älter und dicker wird. Es war aber eine reizvolle Herausforderung, daraus dann doch einen interessanten Film zu machen.

Schalko (zu Glavinic): Ja es war auch irrsinnig gut, dass du sowenig Dialoge geschrieben hast im Roman. Das hat uns irrsinnig geholfen, zum Beispiel.

Maurer: Wir haben auch kurz überlegt, ob wir nicht den Untergang der Titanic verfilmen sollen, wir sind aber draufgekommen, das hat schon wer gemacht.

Thomas Glavinic, haben die beiden dich dann als Autor zu Rate gezogen?

Thomas Glavinic: Also wenn sie meinen Rat gebraucht hätten, dann hätte ich gewusst, dass das ein furchtbares Fiasko wird. Ich hab damit nichts zu tun gehabt, ich kann nichts dafür. Aber ich distanziere mich nicht – wenn der Film gut ist, ist das natürlich mein Baby, das ist ja eh klar. Aber ich hab das Drehbuch immer wieder lesen dürfen und war immer wieder angetan.

Maurer: Er hat die vertretbare Menge ermunternder Worte ausgestoßen.

Ihr selbst nennt WIE MAN LEBEN SOLL ein fast unverfilmbares Buch. Ihr habt dann aber großartige Möglichkeiten gefunden, damit umzugehen, mit Einschüben und Animationen. Hattet ihr diese Idee sofort?

Schalko: Nein, wir haben am Anfang eigentlich probiert, Szenen zu schreiben, erinnere ich mich dunkel ...

Maurer: Na schon. Wir haben uns zuerst einen oder zwei Nachmittage gegenseitig mit sehr siebengescheitem Theorienballast bombardiert. Da ist aber schon als Grundidee herausgekommen, man muss die Artifizialität, die der Text hat, in irgendeiner Weise in den Film übersetzen, sonst ist es einfach nur ein Milieufilm. Das würde dem Buch nicht gerecht werden. Die Idee, dass man filmische Verfremdungsmittel sucht, die was Ähnliches leisten wie die Ratgebersprache und die Einschübe im Roman, die war eigentlich ziemlich früh da.

Schalko: Die Art, assoziativ zu erzählen, das hat sich entwickelt. Es ist eigentlich weniger Postproduktion geworden als ursprünglich geplant war. Eigentlich ist es ein sehr realistischer Film, der halt mit surrealistischen Komponenten arbeitet. Er ist leicht entrückt, hat ein bisschen was Märchenhaftes vielleicht, aber trotzdem erzählt er so, wie man sich an eine Vergangenheit erinnert, die vor 20 Jahren war, an die man sich ein bisserl ungenau erinnert.

War das für Euch auch eine Reise in die Vergangenheit?

Maurer: Also für mich war das schon gut wiedererkennbar. Ich persönlich hab das studentische Milieu ja immer eher von Außen bereist, weil ich ja ...

Schalko: ...weil er keine Matura hat!

Maurer: Weil ich gelernter Schulabbrecher bin. Aber die Kreise waren ja vertraut.

Welches Studium hast Du abgebrochen, David?

Schalko: Ich hab sehr kurz vor Abschluss abgebrochen, mir fehlen nur zwei Prüfungen für ein Studium, das ich wirklich brauche für die Filmwirtschaft. Aber mir war das sozialistische Studium fremd, weil ich ganz anders aufgewachsen bin ...

Maurer: Also als Wirtschaftsstudent, tschuldigen...

Schalko: Als Wirtschaftsstudent aus dem 19. Bezirk... Was spannend an dem Milieu ist, auch wenn es ein verklärtes ist, ist, dass es ein politisch viel wärmeres Milieu ist als das, was man heute vorfindet.

Maurer: Also Laura Rudas und Niko Pelinka hätten damals in der Kommune ein paar Fotzen ausgefangen, sowie sie das Lokal betreten hätten.

Die Suche nach dem Hauptdarsteller hat sich nicht einfach gestaltet, wie kam das?

Schalko: Es war erstaunlich schwer, in Österreich einen dicken Schauspieler Anfang Zwanzig zu finden. Das hätte ich mir nicht gedacht.

Maurer: Dieser Film hat eigentlich die Architektur eines Hans-Moser-Films, insofern der Hauptdarsteller auf jedem Zentimeter Film zu sehen ist. Wenn man damals einen Hans-Moser-Film geschrieben hat, hat man gewusst, man schreibt ihn für den Hans Moser. Wir haben einen Hans-Moser-Film ohne Hans Moser geschrieben und waren dann sehr froh, als wir ihn doch entdeckt haben.

Wie habt ihr Axel Ranisch dann gefunden?

Schalko: Wir haben einen sehr guten Casting-Direktor gehabt, den Markus Schleinzer. Der Film war ja überhaupt eine große Casting-Aufgabe, weil ja 90 Rollen zu besetzen waren, was für einen österreichischen Film – überhaupt für einen Film – recht viel ist. Der Hauptdarsteller war sicher die schwierigste Aufgabe, aber es waren auch viele Junge dabei, die man zu dem Zeitpunkt noch nicht gekannt hat.

Axel wurde nachsynchronisiert. Wie kam das?

Schalko: Das liegt an der simplen Tatsache, dass der Schauspieler Deutscher ist. Aber es ist sehr nah an ihm dran und ich glaub nicht, dass man das merkt. Es fällt einfach auseinander, wenn der Grundduktus ein umgangssprachlicher ostösterreichischer Ton ist und ausgerechnet der Hauptdarsteller in einer anderen Musik spielt.

Maurer: Es ist ja kein Dialektfilm in dem Sinn, sondern spielt halt in diesem universitären Milieu, wo aspiriertes Wiener Gymnasialdeutsch gesprochen wird. Nachdem der Charlie schon aus vielen Gründen eine randständige Figur ist, wollten wir das nicht noch dadurch überziehen, dass er ohne Erklärung mit einem deutschen Tonfall spricht.

Josef Hader, Michael Ostrowski, Robert Palfrader, Bibiana Zeller, Lukas Resetarits: Bei den Nebenrollen ist ja wirklich jeder dabei, der in Österreich Rang und Namen hat.

Maurer: Die haben wir uns teilweise schon aus Gusto zusammenfabuliert, nachdem wir aber beide relativ viele Menschen kennen, konnten wir viele davon direkt anrufen und haben in den meisten Fällen eine Zusage bekommen.

Schalko: Manche haben sich auch erst während dem Dreh ergeben. Also wenn du das erste Mal Roberto Blanco auf deiner Mobilbox hast und der sagt (imitiert seine Stimme) "Guten Tag, hier spricht Roberto Blanco", dann ist das wie in einem Traum. Und wenn du dann das erste E-Mail von Roberto Blanco bekommst und merkst, dass er E-Mails genauso schreibt, wie er spricht, "mit freundlische Grüße", dann weißt du, dass du dich in einem Traum befindest.

Wie habt ihr die 80er erlebt?

Maurer: Ich kann mich daran erinnern, also hab ich was falsch gemacht.

Schalko: Ich war noch so jung, ich war da noch in der Schule. Die 80er sind dein Thema, Thomas!

Glavinic: Das stimmt ja nicht. Ich finde nicht, dass das ein 80er-Buch ist. Es spielt ja auch in den 90ern.

Habt ihr euch jemals wie der Hauptheld leid gesehen, nicht Teil der 68er-Generation gewesen zu sein?

Maurer: Ich glaub, diesen Gedanken hat jeder gehabt, der dieser Generation angehört.

Glavinic: Stimmt leider.

Wolltet ihr wie die Hauptfigur auch einmal nur Rocker werden und eine Band haben?

Glavinic: Das will ich noch immer. Das hat sich bis heute nicht geändert. Ich kann nur leider kein Instrument spielen und bin unmusikalisch. Aber vielleicht wird das noch.

Schalko: Ich hab ein halbes Jahr in einer Band gespielt, die aber über den Proberaum nie rausgekommen ist und dann haben sie mich rausgehaut.

Maurer: Auch ich hab ein Proberaum-Projekt!

Wie habt ihr euch auf den Soundtrack geeinigt?

Schalko: Es war ein schwieriges Thema. Es war viel im Drehbuch drin, was wir uns ausgedacht haben, das dann aber nicht ging, weil man die Nummern nicht kriegt oder sie zu teuer sind. Der Soundtrack ist dann ein bisserl zu Fuß entstanden, mit dem was möglich ist. Es ist ein sehr guter Soundtrack geworden, weil er die Zeit gut erzählt. Da ist von den Happy Mondays bis Edwin Collins viel dabei. Der wesentliche erzählerische Sound des Films ist von Florian Horwath, was dem Film sehr gut tut.

WIE MAN LEBEN SOLL "ist ein fröhlicher Film über das Scheitern" habt ihr vorausgeschickt – ist das nicht jede gute Komödie?

Maurer: Das steckt drinnen. Katastrophen sind immer lustiger als Triumphe. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Leni Riefenstahl nie eine Komödie gedreht hat.

Schalko: Das wäre aber vielleicht interessant gewesen! Ich glaube auch, eine Komödie ohne Katastrophen ist keine Komödie. Die Tragik wohnt einer Komödie inne. Das hat auch etwas mit Fallhöhen zu tun und damit, dass Leute gern dabei zuschauen, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht. Da gibt's halt hunderttausend Arten zu erzählen.

Maurer: Unser Hauptdarsteller, der Axel Ranisch, hat das recht gut zusammengefasst. Er hat am Anfang das Buch gelesen und als dann die Dreharbeiten begonnen haben, meinte er, dass er das alles immer wahnsinnig lustig fand, als er das Buch gelesen hat. Aber als es an die einzelnen Szenen ging, merkte er, dass jede einzelne Szene eigentlich furchtbar und traurig ist. Das nimmt aber der Tatsache, dass es eine Komödie ist, nix weg. Das sind halt zwei Resonanzkörper, die den Sound bestimmen.

Wenn ihr ein Held sein könntet, wäre das eher Bud Spencer oder Indiana Jones?

Maurer: Bud Spencer.

Schalko: Ich habe mich immer als Terrence Hill gesehen. Das ist eher eine Altersfrage.

Maurer: Dann rasier dich einmal!

Ist das ein Kennzeichen unserer Generation, dass man nicht mehr so schnell erwachsen wird?


Maurer: Das ist schon wieder vorbei – das ist das, wovon der Film handelt. Aber wir haben schon diskutiert, ob der Film historisch bleiben soll oder wir ihn in die Gegenwart holen. Es ist schon so, diesen geschützten Bereich, dieses Twenty-Something-Paradies, das die Uni einmal war – was auch eine wichtige Geschichte ist für eine Gesellschaft, dass sich Leute auch in einer Weise ausprobieren können, bevor sie funktionieren müssen – dieser Freiraum ist ja mittlerweile rückstandsfrei gestrichen. Also wenn man nicht aus einem extrem gestopften Haushalt kommt, wo's komplett wurscht ist, dann sind diese goldenen Studienjahre, wo man in der Früh einmal die Entscheidung trifft, ob man auf die Uni geht oder doch einen Ofen raucht, vorbei.

Schalko: Es hat sich insofern wesentlich verändert, weil der Bildungsgedanke aus der Universität weg ist. Die Universität ist eine Ausbildungsstätte geworden für Berufe. Und Bildung heißt in dem Fall eben nicht nur Bildung im Sinne von Wissen, sondern auch Bilde im Sinn von Herzensbildung und solchen Dingen.

Maurer: Und da gehört die Ziellosigkeit dazu.

Schalko: Total, das mein ich, und Dinge ausprobieren. In der Zeit spielt der Film. Dadurch entsteht auch eine seltsame Sehnsucht nach einer Zeit, wo das noch gegangen ist. Dass auch in diesem politischen Milieu in den 90erjahren noch eine Wärme vorhanden war, die's heute nicht mehr gibt. Die Leute professionalisieren sich dort jetzt schon mit 20, hab ich das Gefühl, die sind teilweise schon bessere Berufspolitiker als Minister in den 50ern.

Hattet ihr selber ziellose Jahre?

Schalko: Ja, die haben noch nicht aufgehört!

Maurer: Grundsätzlich ist es natürlich ein hohes Lebensziel, dass man sich bis an die Grenze von Demenz und Altersheimverwahrung überlegen sollte, was man werden will, wenn man groß ist. Ich kenn die Zeit insofern ganz gut. Ich hab zwar nicht studiert, aber ich hab Ende der 80er begonnen, Kabarettist zu sein, und hatte dann ein paar Jahre, wo ich weder eine Familie zu erhalten gehabt hab noch eine Karriere im engeren Sinn vorangetrieben habe, wo ich halt von dem gelebt hab, was gut gegangen ist. Diese Bildungsjahre waren für mich die späten 80er, frühen 90er, wo mir ein privilegiertes Leben vergönnt war, wo ich mich selbst erhalten hab, aber genug Zeit hatte, um meterhohe Bücherstapel durchzufressen und die Resultate Abende lang bei großen Kubaturen halbvergorener Getränke mit Freunden zu besprechen.

Hat euch die Zusammenarbeit gut genug gefallen, dass ihr weitere gemeinsame Projekte plant?

Glavinic: Ich denke schon.

Maurer: Tendenziell ja. Es gibt kein Projekt, das akut am Tisch liegt, aber mir fällt aus dem Stand eine dreistellige Nummer von Namen ein, mit denen es viel unwahrscheinlicher denkbar wäre.

Schalko: Geht mir genauso.

Thomas Glavinic, das ist jetzt schon das zweite Buch von dir, das verfilmt wurde, das ist schon ein hoher Schnitt. Lässt dich das kalt?

Glavinic: Nein, das lässt mich natürlich nicht kalt. Es freut mich. Aber ich bin charakterlich wirklich so problematisch gebaut, dass ich mir denk, wann ist Nummer drei endlich dran. Die Rechte hat nämlich dieser Herr da (zeigt auf Schalko ) und ich möchte, dass der was macht, weil ich glaub, das wär' ein sehr schöner Film.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Maurer: So schnell ist's gegangen.

Hättet ihr noch eine Botschaft loswerden wollen?

Maurer: Ich möcht' gern meine Eltern grüßen.

Glavinic: Ich würd' auch gern noch was sagen: Ficken!

Schalko: …Der klassische Abbinder.

Glavinic: Ich möcht' endlich mal im Fernsehen "ficken" sagen .

Maurer: Ich verschaff Dir ein Interview bei der Barbara Rett.


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